ein Artikel aus www.untersegeln.eu/

Welches Seerecht ist anzuwenden? Das Landesrecht der Flagge des Schiffes oder das des Passes des Skippers?

asierend auf einem unserer letzten Blogartikel „Versicherung und Seerecht: Die Haftung des Skippers“ wurde in der „Segeln“ Facebook-Gruppe heftig diskutiert, welches Recht nach einem vermeintlichen Yachtunfall anzuwenden ist.

Eine Frage, die bestimmt nicht so einfach und pauschal beantwortet werden kann. Je nach Fallkonstellation kann die Antwort sogar ziemlich kompliziert sein, wenn zum Beispiel zwei Schiffe mit unterschiedlicher Flagge und vom Flaggenstaat abweichende Staatsbürger als Skipper fungieren und eine Kollision in internationalem Gewässer oder in den Gewässern eines Drittstaates verursachen. Fälle, bei dem mehrere Rechtsbereiche betroffen sein können.

Wir haben dazu wieder unseren Versicherung- und Rechtsexperten Dr. Friedrich Schöchl von YACHT-POOL um eine fundierte Antwort gebeten:

Seerecht Basiswissen zur Ermittlung des zuständigen nationalen Rechts

Während die Zuständigkeit des anzuwendenden Landesrechts in der Binnenschifffahrt relativ einfach zuzuordnen ist, ist die Situation in der Seeschifffahrt wesentlich komplexer. Welches Landesrecht hier zur Anwendung kommt, ist nicht immer sofort zu erkennen, da dies von verschiedenen Faktoren abhängt.

Hinweis: Das aus dem europäischen Gemeinschaftsrecht hervorgehende Internationale Privatrecht (IPR) unterliegt einem ständigen Wandel. Die nachfolgenden Ausführungen beruhen auf dem Stand der letzten Jahre und erheben daher keinen Anspruch auf Aktualität. Sie können daher lediglich als Orientierungshilfe dienen und müssen je Einzelfall wieder neu überprüft werden.

Bei Sachverhalten mit einer Verbindung zum Recht eines ausländischen Staates regelt das IPR welche Rechtsordnung anzuwenden ist. In den deutschen Rechtsvorschriften ist z.B. das IPR im 2. Kapitel des 1. Teils des Einführungsgesetzes zum BGB (EGBGB) in den Artikeln 3-46 geregelt.

D.h. bei unerlaubten Handlungen gilt grundsätzlich…

  • das „Tatortprinzip“, d.h. „Ansprüche aus unerlaubter Handlung unterliegen dem Recht des Staates, in dem der Ersatzpflichtige gehandelt hat“ (Art 40 (1) Satz 1 EGBGB, Auslandssachbezug).
  • bei „Tätigkeitsdelikten“ wird das Recht des Staates angewandt, in dem die Schädigungshandlung begangen wurde bzw. der Handlungserfolg eingetreten ist.
  • bei „Unterlassungsdelikten“ entscheidet der Ort, an welchem der Schädiger nach dem dort geltenden Recht spätestens hätte handeln müssen. Bei grenzüberschreitenden Delikten kann der Anspruchsteller gem. Art. 40 (1) 2. Satz EGBGB anstelle des Rechts des Staates, in dem sich die Verletzungshandlung ereignete, auch das Recht jenes Staates wählen, wo der Schaden eingetreten ist.

Im Überblick kann man dazu folgende zwei Wirkungsbereiche darstellen:

Innerhalb des Hoheitsgebiets [Binnengewässer, Hoheitsgewässer innerhalb der 12 Seemeilen Zone]

Grundsätzlich gilt, dass Ansprüche aus unerlaubter Handlung dem Recht des Staates unterliegen, in dem der Ersatzpflichtige gehandelt hat. In Hoheitsgewässern eines Staates wird das jeweilige nationale Recht angewandt. D.h. es gilt das Tatortprinzip sowohl außerhalb des Schiffs als auch an Bord des Schiffs, d.h. das Recht des Flaggenstaates gilt bei diesem Sachverhalt nicht.

Außerhalb des Hoheitsgebiets [Hohe See]

Auf Hoher See ist das Tatortrecht das Recht des Flaggenstaates. Dies bedeutet, dass ein Schiff auf Hoher See ein „Hoheitsgebiet“ jenes zulassenden Staates bildet, dessen Flagge geführt werden muss. Die Grundsätze der Art. 40 ff. EGBGB sind hierbei in gleicher Weise anzuwenden. Bei einer Kollision beispielsweise ist damit das Flaggenrecht des Schädigenden vorerst das anzuwendende Recht (Art. 40 (1) Satz 2 EGBGB).

Ausnahme: In Art. 40 (2) EGBGB („ … hatten der Ersatzpflichtige und der Verletzte zur Zeit des Haftungsereignisses ihren gewöhnlichen Aufenthalt in demselben Staat, so ist das Recht dieses Staates anzuwenden …“) ist die Ausnahme vom Tatortprinzip geregelt.

Haben also die betroffenen Parteien (d.h. Schädiger und Geschädigter) zur Zeit des Schadenfalls ihren „gewöhnlichen Aufenthalt“ im selben Staat, so gilt das Recht des Staates, wo der gemeinsame gewöhnliche Aufenthalt ist, also dort, wo sich der Lebensmittelpunkt befindet.

Zur Veranschaulichung der komplexen Regelungen dienen folgende praktische Beispiele zu den oben angeführten Bereichen.

Praktische Beispiele zum anwendbaren Recht nach Yachtunfällen

Beispiel: Yachtunfall innerhalb des Hoheitsgebiets [Binnengewässer oder Hoheitsgewässer innerhalb der 12 Seemeilen Zone]

Ein Schadenereignis in italienischen Hoheitsgewässern auf einem Schiff unter kroatischer Flagge zwischen einem Crewmitglied (wohnhaft in Österreich) als Schädiger und

Variante 1, einem geschädigten Crewmitglied (wohnhaft in Deutschland).

» Es gilt italienisches Recht, Art. 40 (1) 1. Satz EGBGB.

Variante 2, einem geschädigten Crewmitglied (wohnhaft in Österreich).

» Es gilt österreichisches Recht, Ausnahmeregelung Art. 40 (2) EGBGB.

 

Beispiel: Yachtunfall innerhalb des Hoheitsgebiets [Binnengewässer oder Hoheitsgewässer innerhalb der 12 Seemeilen Zone]

Ein Schadenereignis in italienischen Hoheitsgewässern zwischen einem Schiff unter kroatischer Flagge mit einem Skipper (wohnhaft in Deutschland) als Schädiger und

Variante 1, einem geschädigten Crewmitglied (wohnhaft in Österreich) auf einem Schiff unter slowenischer Flagge.

» Es gilt italienisches Recht, Art. 40 (1) 1. Satz.

Variante 2, einem geschädigten Crewmitglied (wohnhaft in Deutschland) auf einem Schiff unter slowenischer Flagge.

» Es gilt deutsches Recht, Ausnahmeregelung Art. 40 (2) EGBGB.

 

Beispiel: Yachtunfall außerhalb des Hoheitsgebiets [Hohe See]

Ein Schadenereignis auf Hoher See auf einem Schiff unter kroatischer Flagge zwischen einem Crewmitglied (wohnhaft in Österreich) als Schädiger und

Variante 1, einem geschädigten Crewmitglied (wohnhaft in Deutschland).

» Es gilt kroatisches Recht gem. Tatortregel Art. 40 (1) 1. Satz EGBGB.

Variante 2, einem geschädigten Crewmitglied (wohnhaft in Österreich).

» Es gilt österreichisches Recht gem. Ausnahmeregelung Art. 40 (2) EGBGB.

 

Beispiel: Yachtunfall außerhalb des Hoheitsgebiets [Hohe See]

Ein Schadenereignis auf Hoher See zwischen einem Schiff unter kroatischer Flagge mit einem Skipper (wohnhaft in Deutschland) als Schädiger und

Variante 1, einem geschädigten Crewmitglied (wohnhaft in Österreich) auf einem Schiff unter slowenischer Flagge.

» Es gilt kroatisches Recht gem. Tatortregel Art. 40 (1) 1. Satz EGBGB, wahlweise Entscheidung durch den Geschädigten für slowenisches Recht gem. Handlungserfolg Art. 40 (1) 2. Satz EGBGB.

Variante 2, einem geschädigten Crewmitglied (wohnhaft in Deutschland) auf einem Schiff unter slowenischer Flagge.

» Es gilt deutsches Recht gem. Ausnahmeregelung Art. 40 (2) EGBGB.
Die Anknüpfung an den Tatort oder den vorrangigen gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt kann in Ausnahmefällen dann entfallen, wenn der Schadenfall nach der Gesamtheit der Umstände des Einzelfalls eine grundlegend und wesentlich engere Verbindung mit dem Recht eines anderen Staates aufweist, § 41 Abs. 1 EGBGB (Generalklausel).

D.h. es kommt jenes Recht zur Anwendung, welches z.B. eine rechtlich engere Beziehung oder eine tatsächlich engere Beziehung zwischen den Beteiligten in Zusammenhang mit einem Schuldverhältnis bildet. Eine rechtliche Beziehung wäre z.B. ein Beförderungsvertrag aufgrund des engen sachlichen Zusammenhangs bei der Erfüllung eines Vertragsverhältnisses. Eine tatsächliche Beziehung wäre z.B. eine gemeinsam angetretene Urlaubsreise.

Seerecht Beispiel: Ein österreichischer Reiseveranstalter chartert für internationale Gäste das unter maltesischer Flagge fahrende Schiff einer italienischen Reederei – Folge: Auch Anwendbarkeit österreichischen Rechts möglich.

Es ist zu erwähnen, dass gem. Art. 42 EGBGB („ … Nach Eintritt des Ereignisses, durch das ein außervertragliches Schuldverhältnis entstanden ist, können die Parteien einvernehmlich das Recht wählen, dem es unterliegen soll. Rechte Dritter bleiben unberührt … “) eine nachträgliche Rechtswahl möglich ist.

D.h. Parteien können nach dem Schadeneintritt eine gemeinsame Wahl hinsichtlich des anwendbaren Rechts treffen. Voraussetzung ist, dass die Parteien eine gemeinsame Vereinbarung getroffen haben. Diese Vereinbarung kann auch mündlich sein, d.h. sie muss nicht schriftlich vereinbart werden. Sie kann gemeinsam auch noch geändert werden und wirkt dann zurück auf den Schadenzeitpunkt. Diese Rechtswahl gilt für alle Ansprüche aus dem gleichen Schadenereignis. Da mehrere Geschädigte das Wahlrecht grundsätzlich individuell verschieden ausüben können, sollte aus Praktikabilitätserwägungen eine einheitliche Lösung angestrebt werden.

Die Rechte eines Dritten bleiben von dieser Rechtswahl unberührt, d.h. er kann sein mögliches anwendbares Recht unabhängig von der Vereinbarung der anderen Parteien wählen.

Nach oben scrollen